Die Klassische Sammlung Schloss Neubeuern


Eine Auswahl aus der Sammlung

Aus Hofmannsthals Leben ist Neubeuern nicht wegzudenken, seit er das Schloss Neubeuern und den Gutshof in Hinterhör am 1. Dezember 1906 zum ersten Mal besuchte. Auf eine besondere, man möchte fast sagen, ahnungsvolle Weise, fühlte er sich hier vom ersten Moment an zu Hause. Für Hofmannsthals Weg zur „eigentlichen Kunst des Lebens“ war Neubeuern, in paradiesischer Landschaft gelegen, eine wichtige Station.

Carl Jacob Burckhardt, Ottonie Gräfin Degenfeld-Schonburg und Hugo von Hofmannsthal v.l. 1924 in Bad Aussee

Schon die ersten schriftlichen Zeugnisse des Besuchs sprechen eine deutliche Sprache und bezeugen, welche Magie für den Dichter von diesem Ort ausging. „Dass Julie (unsere Schulgründerin Baronin von Wendelstadt) so nett ist, hab ich gar nicht gewußt! So klug und angenehm und anmutig – mir war als kennte ich sie schon lange und ich mußte immer Mädi (ihre Schwester Dora von Bodenhausen) daneben sehen und freute mich an der Abwesenden durch die Anwesende und umgekehrt. Nachmittag schlief ich ein bischen auf Julie´s chaise-longue (ich habe jetzt meist elende Nächte) und dann kam Julie herein und wir plauderten in der Dämmerung von Euch zu dritt – das dritte war nämlich Ottoni. Die ist aber unglaublich nett! so etwas liebes gutes und Freudemachendes. Mit der möchte man gleich ein Jahr allein auf einer wüsten Insel leben und sich nur von Möveneiern nähren, es müßte doch nett sein. Es ist wirklich ganz rührend dass Mädi noch so eine nette Schwester und Schwägerin hat! Wir müssen aber ganz bestimmt einmal zusammen in dem Neubeuern sein und alle zusammen mit Ottoni.“


Damit sind die Hauptpersonen des Lebens auf Schloss Neubeuern genannt. Julie war viele Jahre Hofdame der Königin von Württemberg gewesen, ehe sie 1895 Jan Freiherrn von Wendelstadt geheiratet hatte. Die Dritte im Bunde, Ottonie Gräfin Degenfeld-Schonburg geb. von Schwartz, hatte im Mai 1906 den Bruder der beiden Schwestern, Christoph Martin Graf von Degenfeld-Schonburg geheiratet, der Hofmarschall und persönlicher Adjutant des württembergischen Thronfolgers, Herzog Albrecht von Württemberg, war. Jan von Wendelstadt schließlich, ein nobler, kunstsinniger und großzügiger Mann, hatte Schloss Neubeuern 1882 gekauft. Zwischen 1904 und 1908 ließ er gerade den Mitteltrakt durch den Architekten Gabriel von Seidl nach seinen Wünschen neu errichten, weshalb Hofmannsthal 1906 auch in Hinterhör empfangen wurde. Jan war der Sohn des Begründers und Direktors der Darmstädter Bank, Theodor Wendelstadt und dessen Frau, der holländischen Adeligen Johanna Alberta Walkart von Isinga. Er wuchs in großbürgerlich-adeliger Umgebung auf, unternahm zahlreiche Bildungsreisen in ferne Länder und war 1891, nach langjährigen Bemühungen, in den bayerischen Freiherrenstand erhoben worden – Gerüchten zufolge hatte er sich den Adelstitel dadurch erkauft, dass er dem Prinzregenten Luitpold Arnold Böcklins Gemälde „Im Spiel der Wellen“ zum Geschenk gemacht hatte. Heute hängt das Bild in der Neuen Pinakothek in München. Jan von Wendelstadt war ein großer Mäzen und Kunstfreund, der mit vielen namhaften Künstlern und Gelehrten befreundet war, die gerngesehene Gäste auf Schloss Neubeuern waren, ebenso wie zahlreiche Diplomaten und Politiker des deutschen Kaiserreichs. Von dem regen gesellschaftlichen Leben auf dem Schloss zeugen die wunderschönen Gästebücher, die teilweise ediert vorliegen.


Die Bibliothek in Hinterhör

Hofmannsthals Begeisterung für das Schloss Neubeuern und den Gutshof in Hinterhör haben, wie die ersten Briefzeugnisse zeigen, nicht allein mit der seit frühster Kindheit vertrauten Landschaft zu tun, sondern vor allem mit den Menschen, denen er dort begegnete und die es ermöglichten, dass ihm die oberbayrische Idylle zu einem Ort der Zuflucht, der ruhigen Tätigkeit, der anregenden (manchmal aufregenden) Geselligkeit und – nicht zuletzt – zu einem Ort gepflegter und gelebter Freundschaft wurde.

Zu den Teilnehmern der sog. „Neubeurer Woche“ gehörten, neben den oben Genannten, auch Rudolf Borchardt, Rudolf Alexander Schröder, Rudolf Kassner, Annette Kolb und der Bildhauer Fritz Behn sowie viele andere Künstler. Die Gäste kamen meist Ende Dezember ins Schloss und blieben über Neujahr zusammen. In dieser Neubeurer Gemeinschaft ging es teilweise sehr ausgelassen zu. Davon zeugen auch die Eintragungen in die in schweres Leder gebundenen Gästebücher des Schlosses, die zwischen 1906 und 1928 insgesamt 21 Besuche Hofmannsthals in Neubeuern und Hinterhör verzeichnen. Vor allem die witzigen Gedichte und Zeichnungen Rudolf Alexander Schröders geben ein anschauliches Bild der ausgelassenen Stimmung während der Neubeurer Wochen.


Widmung Hofmansthals für Ottonie in den Büchern

Es ist schwer zu sagen, ob Neubeuern ohne die Begegnung mit der jungen Ottonie Gräfin Degenfeld für Hofmannsthal jemals diese Bedeutung erlangt hätte. Ottonie Gräfin Degenfeld muss ein Wesen ganz besonderer Art gewesen sein, die jeden Menschen, der ihr begegnete sofort für sich einnahm. Es ließ sich bislang keine einzige negative Äußerung über sie finden, nur bewundernde, ja begeisterte Schilderungen ihres Wesens und Charakters. Die von Hofmannsthal und Kessler wurden bereits zu Beginn angeführt, doch auch Schröder, Kassner, Pannwitz, Carl Jacob Burckhardt und Borchardt kamen bei ihr ins Schwärmen. Letztgenannter schrieb 1918 an seine Mutter, als in Neubeuern verwundete Soldaten gepflegt wurden: „Es wirkt immer wieder wie ein Wunder mitanzusehen wie diese kleine von so viel kaum und schwer überstandener Krankheit und Kümmernis gebeutelte Person, […] in der seelischen Illusion, die sie hervorruft wie ein ewig Durcheinanderspiel von Jugendschönheit und zarter Weisheit wirkt – ohne daß man die Züge vereinzeln und aufsuchen könnte. Ihr Zauber ist die unermüdlichste leise Wohltätigkeit, das ständige Beschäftigtsein zum Wohle anderer, und daß ihr Wesen wie Trost und Heilung in alle Lücken tritt, die sich in ihrem menschlichen Kreise finden oder aufthun. Wie sie hier jedem ersetzt, was ihm am meisten fehlt, den Vater oder die Mutter, den Mann oder den Herrn, den Anhörenden oder den Anordnenden ist ein Schauspiel das man nicht ohne Bewegung sehen kann. Wäre sie fort, alles zerfiele und fiele übereinander her. Sie ist da und alles scheint vollkommen. Dabei ist das was sie thut nirgends festzustellen, sondern nur Schwebung und Hauch ihres richtigen beinah heiligen Wesens“.  Diese Charakterisierung ist gerade deshalb so interessant, weil sie sich mit Hofmannsthals erstem Eindruck deckt, der die junge Gräfin als „eine Art Engel“ empfand und sofort sehr krank werden wollte, „um sich von ihr pflegen zu lassen“.


Die Sammlung mit Marie-Therese Miller Degenfeld in Hinterhör

Es steht außer Frage, dass der Briefwechsel zwischen Hofmannsthal und Ottonie Gräfin Degenfeld mit Abstand der schönste und lebendigste im Werk des Dichters ist, „zutiefst human“,  wie Ulrich Weinzierl schrieb, ein „Credo von Hofmannsthals Menschenkunde“ und in seiner Art einzigartig. Er enthält auch einige der schönsten Liebesbriefe, die im 20. Jahrhundert geschrieben wurden, und sie zeigen eine einfühlsame, zärtliche Seite Hofmannsthals, wie sie sonst vor allem in seinen dichterischen Texten zu finden ist. In den meisten Beiträgen, die sich mit dem Verhältnis der beiden beschäftigten, stand das „Ariadne“-Thema im Vordergrund, also die Geschichte der durch einen furchtbaren Schicksalsschlag krank und lebensmüde gewordenen jungen Frau, der Hofmannsthal mit einer Lesetherapie und besonderer Zuwendung den Weg zurück ins Leben wies.  Die Gräfin gilt als Vorbild für die „Ariadne“. Ottonie wird die Rolle als Muse zugestanden, der das „Lied des Harlekin“ auf den Leib geschrieben war, das mit den Versen endet:

Mußt dich aus dem Dunkel heben,
Wär‘ es auch um neue Qual,
Leben mußt du, liebes Leben,
Leben noch dies eine Mal!

Ottonie von Degenfeld hat diese Sicht der Dinge in vielen Gesprächen selbst überliefert und in ihren Lebenserinnerungen vom Mai 1948 angemerkt: „In meiner sehr schweren Krankheit stellten sich zwei Freunde mir tief verbunden zur Seite: mein Schwager Eberhard Bodenhausen und dessen Freund, der Dichter Hugo von Hofmannsthal. Ich war zu jung und zu tief an meiner Wurzel getroffen worden, um allein aus dieser Trübsal herauszufinden; und ich kann nur sagen, dass diese zwei Männer in nie ermüdender Kraft mir, ohne dass ich es merkte, immer wieder Hilfestellungen gegeben haben, um mich wieder in den Alltag hineinfinden zu lassen“. 


Aktueller Artikel in der FAZ

Schöner hätte die wohltuende und heilende Wirkung der Dichtung auf das Leben nicht beschrieben werden können. Ein Erfolg der Hofmannsthal‘schen Literatur- und Lesetherapie.

Hofmannsthal empfahl und verordnete der jungen Witwe Bücher, die er persönlich für sie zusammenstellte und in Paketen nach Neubeuern schickte. Im Briefwechsel finden sich viele Stellen, die auf diesesThema verweisen:„Die Bücher, die manchmal ankommen, drängen sich nicht auf als Lektüre, das wollen sie durchaus nicht, sondern es sollen Ihre Bücher sein, -nicht wahr, der Goethe wird Ihr Goethe sein, der Kleist Ihr Kleist? denn solche Bücher sollen Sie nicht aus der Bibliothek in Neubeuern nehmen müssen, sondern die sollen in Hinterhör sein und zu Ihrer Existenz gehören und später für Marie-Thérèse“ - Das "Bücher-schicken", wie Ottonie etwas leichtsinnig bemerkt, nimmt Hugo ihr auch übel, was er dann auch deutlich in seinem Brief vom 22.12.1910 aus Rodaun äußert: „Ihre Bemerkung über Bücher-schicken macht mich etwas traurig. Ich kann sie weder ignorieren noch verstehen. Ich hatte gehofft, wir verstünden einander in dieser Sache vollkommen gut, wüßten, daß es sich um einen Plan handelt, um etwas Überlegtes, sozusagen notwendiges, nicht um „Schenken“. Sie sind doch sonst nicht gar so sehr aus Sondershausen“! (das thüringische Fräulein, wie Hugo sie auch häufig nennt)
„Man „schenkt“ shawls, Reisekoffer, Perlenschnüre, Möpse, Parfümflacons, aber man gibt jemandem Bücher, die er braucht, damit sie bei ihm sind...Zunächst muß ich mich daran halten und werde die Grimmschen Märchen die für Sie zu Weihnachten bestimmt waren, nun Julie schenken als Märchentante für Marie-Thérèse...Bitte seien Sie nicht krank - ich freue mich so.“


Rose-Marie Gräfin Degenfeld-Schonburg, der Sohn des Dichters Rudolf Borchardt, Cornelius mit Reinhard Käsinger vor der Sammlung zum Sommerfest 2013

Die wertvolle Sammlung, die durch viele Raritäten aus dem Freundeskreis Ottonies erweitert wurde, darunter viele Unikate mit Widmung, war bis zum Tode Ottonies 1970 in Hinterhör untergebracht. Ottonie ließ eigene Regale für die Sammlung anfertigen. Die Erbin der Sammlung, ihre Tochter Marie-Therese, ließ die Bücher nach dem Verkauf Hinterhörs 1980 in ihr Haus in Nußdorf bringen, wo sie bis vor kurzem untergebracht waren. Nach dem Tode der letzten Zeitzeugin, unserer Miss Miller 2005, erbte Familie Miller die Bücher. Es war ein Glücksfall, dass Familie Miller nach den Gästebüchern auch die wertvolle Büchersammlung Schloss Neubeuern als Dauerleihgabe zur Verfügung stellt.

Sicher hinter einer neuen Verglasung untergebracht, haben wir viele wertvolle Zeugnisse der Literatur der Jahrhundertwende des 19./20. Jahrhunderts zur Verfügung.



Ellen Ritter +
Dr. Joachim Seng
Freies deutsches Hochstift Goethehaus Frankfurt
Reinhard Käsinger
Schloss Neubeuern

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